10.11.2010
Erholt vom gestrigen Schock konnte ich während des Frühstücks vom Dach des Hotels eine traurige Seite von Kathmandu beobachten:
Straßenkinder im wahrsten Sinne des Wortes. Zusammengekauert zwischen Müll und Straßenhunden lagen sie am Rande des Gehwegs in Lumpen eingehüllt, um sich vor der Kälte zu schützen.
Neben dem Klebstoff-schnüffeln war eine weitere Beschäftigung das gegenseitige Entlausen – ein wirklich trauriger Anblick.
Nach Verdauung dieses Anblicks stürzte ich mich in ein weiteres, lang andauerndes Abenteuer. Nachdem ich gestern vor geschlossener Botschaft stand, war heute der erste große Tag eines monatelangen Dramas der höchsten Form an Inkompetenz: die indische Bürokratie. Während der über vierstündigen Wartezeit lernte ich ein paar neue Leute kennen und schon mal die ersten Schauergeschichten zum bürokratischen Dschungel. Letztlich konnte ich meinen Antrag auf ein indisches “multiple entry visa” einreichen und natürlich schon mal prophylaktisch bezahlen – das ist ja das Wichtigste. In sechs Tagen sollte ich wiederkommen, um meinen Reisepass einzureichen. Warum so lange?, fragte ich. Nun, es müsse erst eine Anfrage nach Deutschland gefaxt und die Antwort abgewartet werden, ob ich auch kein böser Bub wäre. Gut, dann muss ich wohl oder übel abwarten.
Wieder zurück in Kathmandu-Thamel schaute ich mir ein wenig die Geschäfte an. Ähnlich wie in China war es auch hier schwierig, “Originalware” zu bekommen. Es konnte sogar ziemlich sicher davon ausgegangen werden, dass hier alles eine Fälschung war.
Angefangen von Klamotten über sorgfältig und schick verpackte Filme, Serien und Musik…
…bis hin zu den antiken, hunderte Jahre alter Klangschalen. Obiges Bild zeigt einen kleinen Ausschnitt der Hinterstube eines Antiquitäten-Geschäfts. Neugierig wie ich bin, schaute ich mich intensiv um und bin so immer weiter in den Laden vorgedrungen, bis ich in den hinteren, versteckten Räumen angelangte. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Hier lagerten hunderte neuwertige Klangschalen und andere “antike” Artikel. Ich konnte nur ein kleines verstecktes Foto machen, denn zwischen den ganzen neuen Waren saßen mehr als ein halbes Dutzend Arbeiter. Was machen Arbeiter und Neuware in einem Antiquitätengeschäft? Antike Artikel herstellen! Professionell wurden die neuen Klangschalen in mehreren Schritten grob verdreckt, behämmert, in Lösungen eingelegt, nochmal verdreckt, wieder behämmert, individuell beschädigt und grob oberflächlich gesäubert. Fertig war die original-antike Klangschale mit langer Geschichte aus vergangenen Zeiten… Anderen Artikeln erging es ebenso. Schlitzohren? Definitiv!
Nachmittags machte ich mich mit Thijs auf zu einer neuen Sightseeing-Runde. Vor dem eigentlichen Basantapur Durbar Square konnten wir einen großen Markt mit unzähligem Kitsch bestaunen. Antike Fälschungen (s.o.) und “Made in China” garantiert.
Zwischen all diesen Schlitzohren wurden wir ganz automatisch auch zu eben solchen. Der Besuch des Basantapur Durbar Square kostete nämlich – exklusiv für westliche Touristen – 200 NPR Eintritt. Bezahlen für einen gänzlich öffentlichen Marktplatz und dann auch noch auf Touristen limitiert? Ne, das finde ich nicht gut. Zudem bezweifelte ich sehr stark, dass das Geld zum Erhalt des Markplatzes genutzt werden würde… Schnurstracks marschierten wir auf der breiten Straße an dem kleinen Kassenhäuschen vorbei. Natürlich rannte uns einer der Schergen hinterher und wies uns an ein Ticket zu kaufen. Mit nepalesischer Ehrlichkeit klärte ich ihn auf, warum wir kein Ticket benötigen und konnten uns so die Abzocke ersparen.
Der erste Bereich des Markt-/Tempelplatzes war mit Touristengruppen ordentlich gefüllt.
Wo sich viele Touristen tummeln sind weitere Schlitzohren in Form von Taschendieben nicht weit – darauf wurde auch vermehrt hingewiesen.
Der zweite Bereich der Sehenswürdigkeit war etwas ruhiger und die Gebäude durchaus eindrucksvoll.
Besonders die handgeschnitzten Figuren entlang der Dächer waren bemerkenswert detailreich.
Zunächst nur die großen Arbeiten beachtet, fielen nach einer Weile auch die kleineren Schnitzkünste unter den großen Figuren auf. In obigen Bild sind dabei nur die harmlosesten der sexuellen Handlungen gezeigt. Beeindruckend wie kreativ, vielseitig und öffentlich mit Sex in Form des Kamasutra umgegangen wurde.
… und die Leute beobachteten, wurde mein Handelsgeschick erneut auf die Probe gestellt. Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf “Geschäftsbeziehungen”. Permanent wird einem versucht Kitsch anzudrehen. “Original” dies, “original” das. Freundlich wie eh und je lehnte ich dankend ab. Irgendwann wurde es aber so viel, dass ich nichts mehr dazu entgegnete. Eine Händlerin erwies sich als überraschend hartnäckig. Ich saß auf einem Mauerstein, analysierte kurz ihre Angebot an Brusttaschen und schüttelte schließlich wortlos mit dem Kopf. Zehn weitere Minuten bequatschte sie mich: “one hundred, cheap, cheap, original Nepal work, cheap, cheap.” Ich saß lediglich da und mimte den Taubstummen. Obwohl ihr Thijs erklärte, dass ich weder sprechen noch hören konnte – und ich sie dementsprechend nicht verstehen würde – ließ sie nicht locker. Wir liefen weiter und die Frau (ver)folgte uns mit ihrer Verkaufsabsicht. Mein Schulterzucken ließ sie unbeeindruckt. Sie wollte mir mit aller Macht eine Brusttasche verkaufen. Innerhalb der nächsten zehn Minuten ging sie mit dem Preis schrittweise runter. 90, 80 und schließlich 70 – ihr absolutes Limit – denn das sind ihre Herstellungskosten, wie sie nicht müde wurde mir zu erklären. Das Ganze wurde immer amüsanter. Ich sprach kein einziges Wort zu ihr, zuckte lediglich mit den Schultern und lächelte sie an. Weitere zehn Minuten später war sie runter auf 50 und ich konnte mir das Lachen kaum noch verkneifen. Wer hätte gedacht, dass man ohne zu sprechen den Preis drücken kann… Ich ergriff das Wort, dankte ihr für die amüsante letzte halbe Stunde und ihre beeindruckende Hartnäckigkeit. Sie fing ebenfalls herzhaft an zu Lachen und wollte mir ihre Tasche schon fast schenken. Ich gab ihr als Dankeschön 100 NPR für die Brusttasche und fragte sie um…
…ein gemeinsames Foto als Andenken. Handeln ohne Worte – wieder eine neue Erfahrung. 😉
Weiter ging es mit dem Beobachten von unschuldigen Kindern…
und heiligen Männern – sogenannten Sadhus.
Ob ich mich als Sadhu eignen würden? So unterschiedlich ist die Optik doch gar nicht. 😉
Wenn man meine kritische Mine mit dem Poster im Hintergrund vergleicht, mache ich mich aber wahrscheinlich besser als Actionheld – jedoch bewaffnet mit einer alles dokumentierenden Kamera. 😉
Anschließend sondierten wir noch die Computergeschäfte in der New Road auf der Suche nach einem externen DVD-Brenner (aufgrund meiner steigenden Datenflut und der Versendung von Backup-DVDs ist dieser langfristig günstiger) und einer externen Festplatte. Die Preise für Elektronikartikel waren in Nepal ca. 30% teurer als in Deutschland – unfassbar aber wahr. Und dabei handelte es sich um die lokalen Computergeschäfte ohne Touristenabzocke. Was macht man nicht alles, um seine Reiseerlebnisse sicher dokumentieren zu können…
Abends trafen wir uns schließlich mit zwei meiner Bekanntschaften von der indischen Botschaft, Asuka und Michael, sowie drei weiteren Reisenden und hatten eine unterhaltsame Begegnung bei Pizza und Getränk, bevor es nach einem vielseitigen Tag ab in die Koje ging.
Weiterführende Links:
- Straßenkinder – Jung, am Rande der Gesellschaft und ohne Perspektive
- Schnüffelstoffe – Gefährlicher (!) Drogenersatz
- Kopflaus – Parasiten der menschlichen Kopfhaut und auch Krankheitsüberträger
- Durbar Square – Tempelansammlungen mit eindrücklicher Architektur
- NPR – Nepalesische Rupie
- Kamasutra – Handlungsempfehlungen zur erotischen Liebe und mehr
- Sadhus – Asketische Mönche mit allerlei Gelübden
- Askese – Verzicht auf allerlei weltliche Dinge
- Miene – Elementares Element in nonverbaler Körpersprache
Hallo Matze
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!! Alles Gute und weiterhin viel Glück auf deiner abendteuerlichen Reise ,wünschen Dir alle Hentrich’s vom Elsterberg.
Wir verfolgen Deine Reiseblocks ganz gespannt und finden es absolut Spitze wie Du
deine Reise in Worten dokomentierst.Jedesmal am Ende Deiner zeilen sagen wir,der
macht es richtig.Trotzdem würden wir uns freuen dich“ganzbeinig“im Sommer
wieder bei uns zu sehen.
Herzliche Grüße und sauf heute mal richtg einen!! (Brieftasche zu Hause lassen!!!)
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